Wilderer

[1977]

Fritz N.

Fritz N., geboren vor 82 Jahren im Tiroler Unterland, hat neun Einschüsse im Leib; unzählige Narben von Raufhändeln und von Verletzungen im Felsenrevier bedecken seinen Körper; zeit seines Lebens riskierte er es – keineswegs von blanker Not getrieben – die Gesetze zu brechen, verhaftet, verurteilt und eingesperrt zu werden, ohne je nennenswerten Gewinn aus seinen verwegenen Unternehmungen zu ziehen; selbstverständlich nahm er auch andere negative Folgen seiner Leidenschaft – wie zum Beispiel Familienstreit, wirtschaftliche Nachteile, Bosheiten und Racheakte windiger Kumpane auf sich; dennoch hat Fritz N. bis heute noch nie bereut, dass er von seinem 12. Lebensjahr an bis ins hohe Alter als berühmt – berüchtigter Wilderer die Tiroler Reviere unsicher gemacht hat. Im Gegentei; Fritz N. ist stolz auf das, was er getan hat, auf das, was er nicht lassen konnte: auf seine unzähligen, erfolgreichen, verbotenen Pirschgänge; er ist stolz darauf, dass sich die Leute landauf, landab an den Wirtshaustischen Geschichten erzählen, in denen er die Hauptperson spielt: als listenreicher, starker Held, der seine Verfolger, die lächerlichen Amtskappelträger und behördlichen Jagdaufsichtsorgane immer wieder abschüttelt oder auf eine falsche Fährte lockt.

Wie zum Beispiel in jener kalten Herbstnacht, als er samt seiner Beute – einem gerade erlegten Gamsbock – durch den eisigen Innfluss schwamm und die ihm nachhetzenden Jäger – wieder einemal –das Nachsehen hatten. Jedem, der es hören will – und im Bewusstsein, Gerechtigkeit geübt zu haben – erzählt er die dramatische Geschichte, wie er es einmal zwei Jägern, die ihn beim Wildern überrascht und auf der Flucht angeschossen hatten, heimzahlte:

»Es war bald, nachdem sie mich angeschossen hatten; ich war gerade bei der Rübenernte. Da kommt plötzlich ein Freund von mir dahergelaufen und schreit ganz aufgeregt: Jetzt sind sie drunten am Viehmarkt, die zwei Jäger! Ich nichts wie hinunter – ich hab die groben Schuhe angehabt, die mit den scharfen Flügelhägeln – die Jäger haben mich gleich bemerkt, sie sind mitten unter den Bauern gestanden. Ich hab sie mir sofort herausgelangt, hab sie niedergerissen, hab ihnen auf die Nase und aufs Maul geschlagen, bin ihnen mit meinen groben Schuhen hinaufgesprungen, überall ist das Blut heruntergeronnen, von den Aucgen, vom Mund, auch die Zähne hab ich ihnen eingestossen. Die beiden wollten sich auf die andere Seite der Viehmarktstangen verkriechen, aber ich bin ihnen nach! Die Bauern haben alle zu mir geholfen, sie haben geschrieen: Bring sie um! Bring sie um! Die Sauhund haben auf dich geschossen.» Da hab ich sie noch einmal gepackt, bis der Hias – das ist ein Verwandter von mir – mich weggezogen hat und gesagt hat: Vetter, schau sie rühren sich ja nimmer, wirst doch kein Mörder werden, bring sie doch nicht ganz um. Da hab ich sie in Ruhe gelassen, aber die Bauern haben noch immer geschrieen: Hättest sie doch umgebracht, die Sauhund! (Ende des Zitats)

Fritz N., der – wenn er nicht gerade durchs Jagdrevier schlich – höchst erfolgreich einen geachteten Beruf ausübte, ist nie auf den Gedanken gekommen, dass er nach bestehendem Recht mit seinen Wildereien kriminelle Handlungen esetzt, wiederholt schweren Diebstahl begangen hat.

Von der Jagdleidenschaft besessen und wohl auch provoziert durch die rückständig – hierarchischen Verhältnisse im Jagdwesen, bekennt sich Fritz N. – so wie die anderen Wilderer seines Schlages – zu einem Moral- und Freiheitsbegriff, der sich zwar mit der Realität längst nicht mehr deckt, ihm aber erlaubt, sich als ehrlicher, rechtschaffener Bürger zu verstehn, wenn er – heimlich zwar, doch besten Gewissens, durchaus waidgerecht und ohne die miesen Tricks der modernen Autowilderer und Massentierschlächter anzuwenden – auf verbotenen Pirsch zieht und sich die Beute aus dem Wald holt. Kein Wunder, dass er bei einer der ersten Gerichtsverhandlungen, unter anderem folgende Aussage machte: Fritz N. erzählt:

»Der Richter sagte zu mir: Seien Sie doch vernünftig, der Herr Graf (der Jagdbesitzer) will Sie ja als Revierjäger anstellen. Ich antwortete: Kommt nicht in Frage, ich tu diesen Gaunern nicht den Geldsäckel hüten, die Jagd, das ist ein eigenmächtig angeeignetes Recht. Der Richter sagte: Ja, da sind Sie mit dieser Ansicht um 500 Jahre zu spät dran. Sie haben nun einmal gegen das Recht verstossen. Wenn Sie sich anstellen lassen, wird Ihr Fall ad acta gelegt, wenn nicht, werden Sie bestraft. Ich sagte: Nein, das kommt nicht in Frage. Darauf der Richter: Warum haben Sie das gemacht? Ich antwortete: Ich habe Kinder und die haben Hunger. Der Richter: Der Herr Graf hat auch Kinder, und die haben auch Hunger gelitten. Ich sagte zum Herrn Grafen: Du hast Geld genug, du kannst ja das Fleisch, das Gulasch kaufen, das von deinen Jägern gewildert und im Gasthaus verkauft wird. Der Richter sagte: Warum haben Sie dennn nicht eien Kalb oder ein Schaft genommen? Ich sagte: Das ist ja Eigentum. Der Richter: Eine Gams ist auch Eigentum. Darauf ich: Nein, die Gams gehört zum Wild und Wild, Wildnis, Urwald, das sind alles verwandte Namen (Begriffe), wenn ich im Urwald einen Baum nehme, dagt auch keiner etwas. Und die Luft – hab ich gesagt – könnts ihr auch nicht einsperren, sonst würdet ihr sie sicher nur kleinweise an uns abgeben… (Ende der Erzählung)

Rechts- und Freiheitsbegriff

Dieser Rechts- und Freiheitsbegriff –wie irrational und unzeitgemäß er auch sein mag – ist nicht nur in bestimmten Wildererkreisen, sondern auch in der alpenländischen Bevölkerung viel weiter verbreitet, als es den Behörden lieb ist.

Die Erinnerung an jene längst vergangenen alten Zeiten, wo das Jagen ein Recht aller Bauern war, das keine Obrigkeit einschränkte, ist bis heute in manchen Gebirgsgegenden, vor allem in den Wildererzentren, lebendig geblieben. Was sich nicht wenige »gestandene« Älpler über die Jagd heimich denken, das drückt der ehemalige Wilderer F. A. – er ist jetzt Aufsichtsjäger – mit Augenzwinkern – aber auch mit gehörigem Pathos – so aus:

»Wem gehört denn das Wild? Das Wild gehört uns allen! Dass wir nicht das Geld haben, eine Jagd zu pachten, dafür können wir nichts und um den gleichen Pachtzins, den ein Jagdherr bezahlt, bekommen wir die Jagd sowieso nicht. Wer waren denn die ersten Wilderer? Die ersten Wilderer waren schon bei Jesus Christus! Haben die Apostel fürs Fischen einen Jagdschein gehabt? Nein! Und warum nicht? Weil das Wild eben allen gehört! Und unser gemeinsamer Besitz ist. Warum dürfen wir nicht auch eine Jagd pachten? Müssen wirklich nur die Reichen eine Jagd haben? Warum setzt man uns so herunter? So kommt`s eben zum Wildern; das ist bei uns schon im Blut, von früher her. Wie haben denn unsere Ahnen angefangen? Wie haben sie sich erhalten? Von der Jagd! Dann sind die Mächtigen gekommen und haben gesagt: Weg, du armer Hund, weg, du darfst nicht haben!« (Zitatende)

Zumindest in einem Punkt muss man dem Wilderer F. A. recht geben: Vor etwa 500 Jahren haben wirklich einige wenige Mächtige den Untertanen das Jagdrecht eingeschränkt und schließlich weggenommen. Unter Kaiser Maximilian I., der ein leidenschaftlicher Jäger war – der »um nichts zorniger geworden ist als allein um des Wildbrets willen« – entstand ein neues Jagdrecht, das die bäuerliche Bevölkerung besonders hart traf; hatten doch die Mächtigen schon die alten Wald-, Wasser- und Weiderechte der Gemeinden empfindlich beschnitten oder an sich gerissen, nun durften die Untertanen auch nicht mehr auf die Pirsch gehen.

Maximilian war am Wohlergehen des geliebten Wildes weitaus mehr interessiert als an dem seiner Untertanen. Ohnmächtig, ohne Schutz und Rechte mussten sie hinnehmen, dass ihre Felder zerstört wurden, jederzeit konnten sie von irgendeinem Hohen Herrrn zu unbezahlten Treiberdiensten von ihrer Arbeit weggehot werden, ganze Täler litten unter Massenarmut und Hungersnot, aber ein Heer von Hegern schützte das Wild vor dem gemeinen Mann; drakonische, grausame Strafen drohten dem Unglücklichen, der beim verbotenen Jagen von den Häschern aufgegriffen wurde. Sogar die Hunde der Bauern mussten auf höchsten Befehl verstümmelt weden – man hackte ihnen eine Pfote ab oder hängte ihnen einen Holzknüppel um den Hals – nur damit sie dem edlen Wild nicht mehr nachjagen konnten.

Die Verzweiflung und die Wut der Untertanen wuchs und trotz aller Verbote und Strafandrohungen kam es in besonders gefährdeten Tälern zu Massenwildereien: ganze Dörfer – Kinder, Frauen, die Jungen und Alten brachen auf in die Berge und erlegten alles, was vor ihre Waffen kam; einerseits, weil sie das Fleisch dringend benötigten, andererseits, weil sie das Wild, das zum Symbol der verhassten Obrigkeit geworden war, vernichten wollten.

»Absager« der Obrigkeit

Peter Passler

Das Tragen von Schusswaffen wurde den Bauern verboten, das Wild vermehrte sich bedrohlich, Wölfe, Bären und Luchse richteten unter den Viehherden unermesslichen Schaden an. Als dieses Klima – geprägt von Not, Rechtsunsicherheit und herrschaftlicher Willkür immer unerträglicher wurde, entschlossen sich mehr und mehr mutige Bauern, als »Absager« der Obrigkeit den Gehorsam und die Abgaben zu verweigern. Sie tauchten unter in den Wäldern, lebten vom Wildern und zerstörten das herrschaftliche Gut, wo sie es antrafen. Die Bevölkerung unterstützte und bewunderte diese Wilderer und Absager heimlich; und wenn auch Hunderte von Häschern und Horchern das ganze Land durchsiebten, sie waren schwer zu fassen.

Einer der Verwegensten unter ihnen war Peter Passler aus dem Südtiroler Antholzertal. Er ging seinen Verfolgern ins Netz, wurde gefangengesetzt, gefoltert und zum Tod verurteilt. Als er auf dem Brixner Domplatz öffentlich hingerichtet werden sollte, befreite ihn die empörte Menge und schlug die Richter, die Soldaten und Amtsbüttel in die Flucht. Mit diesem Akt offener Auflehnung gegen die Obrigkeit begann in Tirol der Bauernkrieg und der Wilderer und Absager Peter Passler wurde von den Aufständischen zu einem ihrer führenden Hauptleute erwählt.

Seit diesen Zeiten, in denen sich Männer vom Schlag Peter Passlers gegen die Mächtigen und Reichen auflehnten und von den Untertanen heimlich verehrt wurden, weil ihre Wilderertaten als Selbsthilfe, als politische Handlungen, als berechtigte Sabotageakte gegen die Obrigkeit verstanden wurden, verbindet sich in der Volksmeinung das Bild des Wilderers mit dem des Freiheitshelden, der Kämpfers für die Entrechteten, des Aufrührers, der keine Angst hat vor »denen da ofben« und der es ihnen schon »zeigen« wird.

Dieses Bild – teils romantisiert und idealisiert, teils verniedlicht und zum Klischee erstarrt – hat sich bis in unsere Tage heruf im Bewusstsein der alpenlänsichen Bevölkerung erhalten. Unzählige Wilderer profitierten im Lauf der Jahrhunderte von diesem Heldenimage, obwohl sie keineswegs mehr die aufrührerischen Motive der Männer von der Art Peter Passlers hatten; sie wilderten aus Not, aus Leidenschaft, aus unbändigem Ehrgeiz, aus Rache, aus Hass, aus Neid, um ihre verlorene Ehre wiederherzustellen; aber die Obrigkeit, den Landesherrn gar zu stürzen, hatte keiner mehr im Sinn.

Ganz im Gegenteil: Die gefürchtetsten und geschicktesten unter ihnen ließen sich oft allzu bereitwillig von einem klugen Jagdherrn, der in seinem Revier endlich Ruhe haben wollte, als Aufsichtsjäger anwerben und dienten diesem dann besonders treu und ergeben, indem sie mit äußerster Strenge und Schläue gegen ihre ehemaligen Pirschkumpanen vorgingen. Heute gibt es genug Wilderer, die geübt sind im Rollenwechsel – falls man ihnen Gelegenheit dazu gibt: über Nacht können sie zu soliden Jagdkartenträgern, zu Jägern und Revierpächtern werden und sehen in ihren früheren Kollegen plötzlich Feinde, Eindringlinge, zumindest aber Konkurrenten.

»Der Schnellere geht heim«

Auch Fritz N. war öfter Besitzer einer Jagd und musste sich mit »seinesgleichen«, mit Wilderern, herumschlagen. All zu scharf scheint er aber nicht durchgegriffen zu haben.

»Mein Oberjäger«, so erzählt er, »ist eines Tages – wie ich gerade Pächter war – zu mir gekommen und hat gesagt: den Wilderer K., den muss ich jetzt erschießen. Ich erklärte ihm: Nein, du erschießt ihn nicht, wenn du's ihm allein nicht bist, warte ab; einen Stein, den man nicht aufheben kann, soll man so lang liegen lassen, bis ihn eben mehrere aufheben. Ich will kein Menschenleben auf mich nehmen wegen des Wilds.« (Zitatende)

Einen scharfen Polizeihund allerdings hat sich Fritz N. zugelegt um den Wilderern schneller auf die Schliche zu kommen. Und wenn er einmal einen erwischt hat, dann steckte der ganz gehörig Prügel ein; die Gendarmerie hätte Fritz N. sicher nicht geholt.

Diese Handlungs- und Denkweise – selbst, ohne Hilfe von Uniformierten für Recht und Gerechtigkeit zu sorgen – war und ist heute noch typisch für die Situation in manchen Revieren; zumindest dann, wenn Wilderer des alten Schlages von Jägern überrascht werden. Der Kampf Mann gegen Mann ist durchasu noch gebräuchlich, ohne dass die Behörden davon je erfahren.

Zwar hat der alte Spruch »Der Schnellere geht heim« viel von seiner »todernsten« Bedeutung verloren, man spürt aber noch einiges vom archaischen Pathos der Spielregeln, die zwischen den beiden Feiden, dem Jäger und dem Wilderer gelten, wenn Much P. – vor Jahren noch ein berühmter Wildpratschütz des Zillertals – von seinen Erlebnissen erzählt:

»Da treffe ich im Wald einen Jäger – der schreit mich an (der stellt mich) – ich fahre mit dem Stutzen herunter, was soll ich sonst anderes machen. Der Jäger war völlig eingeschüchtert, der hat nicht mehr gewusst, was er tuns soll. Dann sagt er: schießen tust du aber nicht. Ich sage drauf: Wenn du nicht chießt, dann schieß ich auch nicht. Ich frage ihn: Zeigst du mich an? Der Jäger sagte: Wenn du mich gehn lasst, wenn du nicht schießt, dann zeige ich dich nicht an. Ich sag: Gut, lassen wir es gut sein, ich geh nicht mehr wildern und du zeigst mich nicht mehr an. Darauf der Jäger: Gut, bleiben wir dabei, ich zeig dich nicht an, aber du musst Wort halten. Wenn du aber nicht Wort hälst, das sag ich dir fürs nächste Mal – der Schnellere geht heim«.

Die Fachleute der Wildererbekämpfung wollen und können freilich wenig wissen von derartigen privaten Abmachungen und bewaffneten Konfrontationen, die angeblich auch noch nach »fairen« Regeln ablaufen sollen. Sie haben einen klaren Standpunkt und leugnen die historischen Aspekte des Wildererwesens, die heute noch das Klima in manchem Jagdrevier mitprägen und die Meinung des Volkes beieinflussen.

»Der Wilderer« – so die Aussage eines führenden Beamten der Gendarmerie in Innsbruck, »der Wilderer, mit dem wir es zu tun haben, handelt wie jeder andere Dieb auch. Der Untrschied liegt nur im Objekt; so wie ein anderer eben Kraftfahrzeuge oder sonstige Gegenstände stiehlt, stiehlt er eben das Wild.« (Zitatende)

Diese behördliche, offizielle Definition trifft auf die Motive des »gewöhnlichen Wilddiebs«, der mit Gift, mit Fallen, mit tierquälenden Schlingen- und Scheinwerfern, meist bandenmäßig organisiert, in den Revieren wie ein Schlächter wütet, sicher zu.

Frieden im Revier

Frieden im Revier herrscht vor allem nur noch dort, wo sich die interessierten Einheimischen die Jagdrechte und Pflichten, – etwa af genossenschaftlicher Basis – gerecht untereinander aufteilen. Aber schon in den kleinsten Dörfern, die Reviere verpachten, kommt es zu Streitereien, zu Freindschaften und Familienfehden, weil sich bei den Versteigerungen allzu oft die Raffiniertesten, die Tüchtigsten, die Talkaiser und Leute mit entsprechenden Beziehungen durchzusetzen vermögen. Der kleine Mann wird unzufrieden und will nicht einsehen, dass er zurückstehen soll. Auch er will endlich zum Zuge kommen; aus dieser Situation heraus entwickelt er eine eigene Moral, die sein Handeln rechtfertigt, wenn er zum Wildererstutzen greift: Der Wilderer L. A. aus dem Ötztal sieht das so:

»Bei der Jagd geht es ungerecht her, ein paar Geldige und diejenigen, die einen Einfluss haben, haben die Chance, eine Jagd zu pachten. Die verkaufen dann den Ausländern um teures Geld die Abschüsse und wir, die armen Hunde, können durch die Finger schauen. Wir können uns das nicht leisten und möchten auch gern öffentlich jagen gehn. Es braucht sich also niemand zu wundern, wenn immer wieder gewildert wird.« (Zitatende)

Dass sich der kleine Mann den Jagdpächtern gegenüber oft als »armer Hund« vorkommt, ist verständlich; er hat bei weitem nicht die Finanzkraft all der Manager, Fabrikanten, Modeärzte und Großgrundbesitzer, die Millionen für die Pacht und die Erhaltung der Jagdreviere übrig haben und die zig Tausende von Schillingen für Abschüsse kassieren. Ebenso verständlich ist, dass die Bevölkerung Sympathie für die Wilderer hegt, wenn sich – was öfters vorkommt –der Pächter um die Bezahlung der Schäden, die »sein« Wild in den Feldern und Äckern der Bauern verursacht, drücken will oder wegen der Höhe der Wiedergutmachungen herumstreitet. Manche, die besonders arg von Wildschäden betroffen sind, bedauern, dass es zu wenig Wilderer gibt.

Z. B. die Familie Taler aus Arzkasten im Tiroler Oberland: »Wir haben viel zu viel Wild da, wir können es füttern und die Jagdherrn machen das Geschäft damit. Wenn es grün wird im Frühjahr geht es schon los. Im Sommer geht das Wild über die Erdäpfel und frisst uns die Krautköpfe und die Ähren vom Getreide ab. Drei Viertel vom Jahr ist das Wild in unseren Wiesen drin. Das kommt daher, weil die Futterstellen viel zu tief im Tal angelegt sind, das sind die reinen Silos – das Wild wird ja besser gefüttert wie das Vieh im Stall. Dadurch ist der Wildbestand viel zu dicht. Für uns ist das eine Katastrophe, die ganzen Bauern schimpfen und das wird von Jahr zu Jahr schlimmer; Wir werden noch jeden Krautkopf einzäunen müssen. Wenn man den Schaden beim Jagdpächter anmeldet, bekommt man auch nicht viel. Zuerst pachten die Herren groß die Jagd, dann wollen sie keine Wildschäden zahlen. Wir werden in Zukunft zur Selbsthilfe greifen. Wir werden Wilderer züchten und sie subventionieren – das ist für uns die einzige Abhilfe.«‚ (Zitatende)

Jagdlust

Nicht mehr so ganz ins Bild vom »Dieb aus Gewinnsucht« passen jene Zeitgenossen, die – oft geschützt durch Macht, Beziehungen und Geld – ihrer Jagdlust freien, all zu freien Lauf lassen: z. B. die – gelegentlich – wildernden Hoteliers, Beamten, Doktoren, Ärzte, Rechtsanwälte, Berufsjäger, Pfarrer oder Direktoren, die aus anderen Gründen die Gesetze mißachten: teils aus Dummheit und Überheblichkeit, teils aus Ehrgeiz und Sorglosigkeit,, sicher aus bloßer, ungezügelter Jagdlust. Vor Gericht kommt diese Sorte von Edelwilderern sehr selten. Erwischt man zufällig einen, regelt man die peiliche Angelegenheit diskret mit dem Jagdherrn. Bis zur Gendarmerie gelangen die belastenden Informationen erst gar nicht und mancher ehrliche Aufsichtsjäger, der seinen Diensteid ernst nahm, hat schon seine Stelle verloren, weil er einen »prominenten« Wilderer zur Anzeige bringen wollte und dies dem Jagdherrn nicht in seine Pläne passte.

Ein erfahrener Revierjäger – einer dieser ehrlichen – beschreibt die Situation so: »Wilderer gibt es in allen Schichten. Auch unter den Reichen, die es nicht notwendig hätten. Leider muss ich sagen: Ich bin zwar Berufsjäger, aber auch unter uns, unter den Aufsichtsjägern, den Jagdaufsehern kommt es vor dass gewildert wird. Das ist die größte Sauerei, weil die den ganzen Berufsstand in Misskredit bringen. Sogar Leute, die Uniform tragen und für das Gesetz, für die Einhaltung der Gesetze, verantwortlich sind, gehen wildern. Und auch die Jagdpächter selber. Heutzutage gibt's nur noch wenige richtige Jagdherrn, die meisten sind bloß billige Pächter« (Zitatende).

Gerade diese »billigen« Pächter, die keine richtigen Jagdherren mehr sind, die sich manchmal durch Überheblichkeit und Geiz, durch Prahlsucht und Mangel an Takt bei den Einheimischen unbeliebt machen, sind die Ursache dafür, dass ein paar Männer des Dorfes, dass die kleinen Leute ihre Wildererstutzen aus dem Versteck im Heuboden hervorholen und auf verbotene Pirsch gehen: um dem Pächter eins auszuwischen, um ihm die Freude am Revier zu vergällen und ihn – womöglich bald – aus der Gegend zu vertreiben.

Aber nicht nur das Tun und Handeln einzelner »billiger« Pächter ist es, das den Unmut der Bevölkerung erregt: Die österreichische Jagdszene bietet ganz allgemein – so wie sie sich dem kleinen Mann darstellt, eine Reihe von Provokationen; dem Wild nachzupirschen ist bis heute eine elitäre Freizeitbeschäftigung für begüterte Kreise geblieben, die sich's leisten können und die nicht verhehlen, dass sie unter sich bleiben wollen.

Im Jahr 1978 lösten 93.784 Personen eine Jagdkarte, 5.438 davon waren Nichtsterreicher. Allein in Tirol, das das weitaus beliebteste Jagdgebiet Öseterreichs für Ausländer ist, erhielten 2.414 Jäger aus der BRD die Jagdberechtigung. Fast 100.000 Schießfreudige rauften sich also um Abschüsse in den 10.559 Revieren Österreichs. Etwa 7% dieser Reviere sind sowieso in ausländischer Hand, allein in Tirol besitzen deutsche Firmen, Konzerne und sonstige Reiche 251 der vorhandenen Jagdreviere, die es besonders schätzen, ihre geschäftlichen Bsprechungen in der unmittelbaren Nähe von Hirsch- und Gamsrudeln zu absolvieren.

In den anderen Bundesländern sorgen die privaten Bodeneigentümer manchmal für Ärger: der »gewöhnliche« Pirschsüchtige, vom Jagdinstinkt Getriebene, muss, wenn er im Wald herumknallen oder gar eine Jagd pachten will, schwer blechen – falls man ihn überhaupt blechen läßt; die vornehmen Grundbesitzer – Adelsfamilien etwa oder Klöster – nehmen durchaus nicht von jedem Geld an, auch wenn der mehr als genug davon hat.

In den landes- und bundeseigenen Revieren wiederum sind es vor allem die hohen Politiker jeder Farbe und ausgewählte Vertreter des Beamtenadels, die ausgiebig und kostengünstig ihrer Jagdlust frönen. Ausßerdem – die Gerüchte wollen nicht verstummen, – sollen sich beamtete Jäger hie und da kostenlos so manchen kapitalen Hirsch zutreiben.

Was immer an diesen Gerüchten wahr ist – was immer entstellt oder übertrieben daran sein mag – das Volk weiß um die Jagdleidenschaft vieler hoher Funktionäre und macht sich seinen Reim drauf. Vom Minister – wie z. B. Hannes Androsch – bis zum Bürgermeister – wie z. B. Alois Lugger –, vom General – wie z. B. Lütgendorf – bis zum Landeshauptmann – wie z. B. Andreas maurer –, alle sind dem Weidwerk eifrigst ergeben und sammeln stolz Trophäe auf Trophäe. Die ständig steigende Zahl der Jagdprüfungsabsolventen weist zwar auf eine fortschreitende Demokratisierung der Jägerei hin; dennoch ist sich die Clique der Grünröcke, die im Land den Ton angibt, in einem Punkt einig: Die Jagd darf kein Massensport werden, sonst geht sie in den nächsten Jahrzehnten kaputt. So weichen viele, die wohl Geld haben, aber nicht zur Insidergruppe der Finanz-Adels- und Politprominenz gehören, längst ins Ausland aus – nach Polen, Ungarn, in die CSSR, nach Kananda oder nach Rumänien. Dort sind schießfreudige, zahlungskräftige Devisenbringer stets willkommen.

Wildschäden, Sehnsucht

Nicht nur die direkt betroffenen Bauern schimpfen über die Wildschäden; auch die Naturschützer, die Umweltexperten kritisieren in zunehmendem Maß, dass viele Reviere überhegt sind, dass der Wildbestand viel zu hoch ist und weisen nach, dss die Schäden bereits ein gigantisches Ausmaß erreicht haben. manche, besonders schießwütige Jagdherren haben ein Mehrfaches an Wild, als für das Revier gut sein kann.

Besonders arg soll es z. B. im Revier des Waffenhändlers Alois Weichselbaumer sein (zitiert aus: Trend Nr. 12, 1978): dort ist der Wildbestand viermal so hoch als es normal und natürlich wäre; vermutlich deshalb, weil er seinen prominenten Gästen en besonders leichtes Jagdvergnügen bieten will. Freilich – der Streit um den wahren Umfng des Wildverbisses wird nocht zunehmen und vor allem lang nicht entschieden werden; schon deshalb, weil die streitenden Parteien oft mit ungesicherten Zahlen argumentieren. Wer eine Jagd verpachten will, wird meist mit seinem hohen Wildbestand auftrumpfen, um den Pachtzins hinaufzutreiben; wer aber von den Umweltschützern angegriffen wir, verteidigt sich, indem er höchstens die Mindestzahlen seines Wildbestands bekanntgibt. Gerade in dieser Grauzonde des Jagdgeschehens, in diesem Klima, das von Emotionen, von smartem Geschäftsgeist, von Ehrgeiz, Macht- und Geldstreben geprägt ist, kann sich die Wilderei als bloßes Kavaliersdelikt, als fast tolerierte Reaktion und »Rache« des kleinen Mannes erhalten.

»Wenn sich schon die Großen ihrer Jagdleidenschaft rühmen können, so muss man auch den kleinen Mann verstehen, wenn es ihn drängt, im Wald herumzuspirschen«, so hört man's immer wieder von der ländlichen Bevölkerung: Darum werden auch heute nocht die alten Wildererlieder gesungen, darum erzählt man sich heute nocht die spannenden und lustigen Geschichten über sie. Und wenn ein berüchtigter Wilderer – wie z. B. der F. H. aus dem Tiroler Ötztal – sich brüstet mit seinen Taten, wie er seinen Feind, den Jagdpächter drankriegte und wie er die Gendarmen bei der Hausdurchsuchung foppte, dann glauben ihm viele gern; all zu gern, denn der Neid und die Schadenfreude machen schließlich auch leichtgläubig.

»Ich war ja schon gewohnt, dass die Gendarmen zu mir kommen das Haus zu druchsuchen; ich hab mich schon darauf eingerichtet und hab alles schon vorher organisiert. Da im Backofen sind auch einmal zwei Gamsen versteckt gewesen – gefunden haben sie die nicht, dort hat nämlich kein Teufel hineingeschaut. Meine Frau hat natürlich oft mithelfen müssen. Zuerst hat sie wohl Angst gehabt, dann aber war sie die Hausdurchsuchungen gewohnt und hat sich mit mir gefreut, weil ich nicht eingesperrt worden bin. Meine Frau ist gerae den dritten Tag im Kindbett gelegen, da sind die Gendarmen gekommen. Sie haben das ganze Haus durchsucht, haben aber nichts gefunden. Zuletzt sind sie zur Frau hinein – ich hab ihr die Gams unter die Bettdecke gelegt, neben dem Kind und hab zu ihr gesat: wenn sie kommen, dann zwick das Kind, damit es schreit – dann werden sie schon wieder gehn. Ich hab zu den Gendarmen gesagt: Eine Mutter im Kindbett werdet ihr wohl in Ruh lassen können – sie sind gleich verschwunden – ich hab die Gams wieder aus dem Kindbett herausgeholt! Wenn du wissen willst was das Wildern eigentlich ist, dann sag ich dir: das ist eine Sehnsucht, der das selber nicht mitmacht, kann sich das gar nicht vorstellen! Ein Dreimillioneneinbruch ist dagegen gar nichts, so versessen bist du auf das! Du kannst dich einfach nicht mehr zurückhalten –du fühlst dich – wenn du katholisch bist – als ob du im Himmel wärst! Das musst du mir glauben. Ich hab schon zwei Herzinfarkte gehabt, jetzt wart ich auf den dritten – vielleicht heilt es noch aus, wenn ich noch einmal auf die Jagd ginge – ich bin mir nicht sicher, ob das nicht besser wäre!« (Zitatende)

Jagdleidenschaft

Was ist ein Mann, der so redet? Ein ganz gewöhnlicher Wilddieb, ein Gewohnheitsverbrecher? Ist Fritz N. oder H. P. aus dem Zillertal ein gewinngeiler Wildfleischdieb, wenn er seine Jagdlust erklärt?

»Wenn der November ins Land kommt und die Nebel aufsteigen, trau ich mich gar nicht aus dem Fenster zu schauen, weil dann die Hirschbrunft anfangt – lieber verstopf ich mir die Ohren, damit ich nichts hör und nichts seh! Sonst könnt' es mich vielleicht doch noch packen und ich könnt mich hinreißen lassen, noch einmal wildern zu gehn – dabei schaut eh nichts anderes heraus als das Gefängnis«. (Zitatende)

Die Jagdleidenschaft dieser und anderer Wilderer ähnlichen Schlags erinnert eigentlich ein wenig an die Schießwut jener steinalten, gebrechlichen Greise, die – obwohl an den Rollstuh gefesselt, halb lahm und von der Gicht geplagt – in manchen Wildparks einen zahmen Hirsch kaufen und ihn sich vor die Flinte treigen lassen, nur damit sie noch einmal –das letzte mal vielleicht – sich an der Illusion, einen »echten« Abschuss vollbracht zu haben, freuen können.

Zur Jagdleidenschaft kann man stehn, wie man will; man kann sie bewundern, tolerieren oder verdammen! Man sollte sie aber nicht bei Jägern grundsätzlich positiv und bei Wilderern grundsätzlich negativ beurteilen. Ein Jagdschein ist keine Garantiekarte für Charakter und Verantwortungsbewusstsein in weidmännischen Angelegenheiten; nicht jeder Wilderer ist lediglich ein gewinnsüchtiger, gemeiner Dieb. Wer von der Jagdleidenschaft – was immer das sein mag – befallen ist, hat manchmal nicht die Wahl oder die Möglichkeit, um Erlaubnis zu fragen, ob er seine Leidenschaft stillen »darf«; schon deshalb, weil das Recht zu jagen längst schon aufgeteilt ist unter jenen, die das Sagen haben. Wie höhnte doch der österreichische Industrielle Hans Dujsik, die Jagd betreffend? »Des is wie bei den Schweinen – die Starken stehen am Trog, und die Schwachen können die anderen bestenfals ins Wadl beißen, um dabeizusein«. (wörtliches Zitat, veröffentlicht in der Zeitschrift »Trend« Nr. 12, Dezember 1977

Ende

 

top